Nachteilsausgleiche für Prüfungsleistungen

 

Begriffserklärungen

Eine Krankheit, die akut und vorübergehend ist, wird im Prüfungsrecht mit Prüfungsunfähigkeit gleichgesetzt. Die Folge ist der Rücktritt von der Prüfung.

Eine langfristige bzw. chronische Krankheit oder langfristige Beeinträchtigung bzw. Behinderung wird als Dauerleiden oder Behinderung klassifiziert und trägt ggf. einen Nachteilsausgleich zur Folge. Der Nachteilsaugleich ist bei Dauerleiden möglich, wenn Studierende die Anspruchsvoraussetzungen vollständig erfüllen. Bisher beinhalten die Landeshochschulgesetze Deutschlands keine Definition von Beeinträchtigung oder Behinderung. Im §2 SächsInklG findet sich jedoch eine Definition von Behinderung:

Menschen mit Behinderungen im Sinne dieses Gesetzes sind Menschen,

  • „die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben [medizinischer Maßstab],
  • welche sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren. an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können [soziologischer Maßstab]“

„Als langfristig gilt ein Zeitraum, der mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert, womit auch chronisch kranke Menschen inkludiert werden.“

 

Nachteilsausgleich beantragen

Solltet ihr einen Nachteilsausgleich aufgrund einer bestehenden, langfristigen Beeinträchtigung beantragen wollen, so findet ihr das Verfahren § 7 Abs. 2 der (Muster)Prüfungsordnung rudimentär geregelt. Dort ist festgelegt, dass die zu prüfende Person ihre Einschränkungen infolge einer Behinderung/Krankheit, Schwangerschaft oder Elternschaft schriftlich im Rahmen eines Antrags glaubhaft machen muss. Auf Grundlage dieses Antrags soll der Person eine verlängerte Bearbeitungszeit oder eine gleichwertige Prüfungsleistung in anderer Form gewährt werden.

Medizinische Nachweise, die ihr zur Glaubhaftmachung eures Antrags beilegen solltet, sollten folgende Punkte beinhalten:

  1. Vorliegen Diagnose nach ICD-10 GM Version 2023, ggf. eines anderen verbreiteten Klassifikationssystems, dabei Nennung der Diagnose häufig hilfreich
  2. Zeitweise oder dauerhaft bestehende funktionale Einschränkungen, ggf. unterschiedlicher Intensität, die aus der bzw. den Beeinträchtigungen resultieren und sich auf für das Studium relevante Aktivitäten auswirken
  3. Voraussichtlicher weiterer Verlauf der Beeinträchtigungen
  4. Vorschlag für Maßnahmen des Nachteilsausgleichs (realistisch und möglichst detailliert)
  5. Formalia: Kopfbogen, Datum, Unterschrift der ausstellenden Person mit Angabe der Funktion, Stempel der Praxis

Der Antrag wird an den Prüfungsausschuss des eigenen Studiengangs gestellt, der anschließend darüber entscheidet und Art und Umfang des Nachteilsausgleichs festlegt. Überlegt euch vorher, wie umfangreich und detailliert ihr dem Prüfungsausschuss, der zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, euren medizinischen Hintergrund offenlegen möchtet. Das Verfahren kann einige Zeit in Anspruch nehmen, daher solltet ihr euren Antrag so zeitig wie möglich stellen, jedoch spätestens vier Wochen vor der fraglichen Prüfung.

 

Die konkreten Fragen des Nachteilsausgleichs, also beispielsweise

  • Verursacht das vorgebrachte Dauerleiden eine prüfungsbezogene Einschränkung?
  • Wie umfangreich ist diese Einschränkung?
  • Durch welche Maßnahme wird die Einschränkung angemessen kompensiert?

werden auf Grundlage des Antrags im Einzelfall im Ermessen des jeweiligen Prüfungsausschusses entschieden – die von euch vorgebrachten Nachweise sind für den Prüfungsausschuss nicht bindend. Da die Mitglieder der Prüfungsausschüsse der TU Freiberg in aller Regel keine medizinische Expertise besitzen, kann es dabei zu Fehleinschätzungen kommen. Außerdem ist es leicht möglich, dass Studierende mit ähnlichen Einschränkungen ungleich behandelt werden, weil unterschiedliche Prüfungsausschüsse über ihre Einschränkungen entscheiden oder sogar der gleiche Prüfungsausschuss in einem Fall anders entscheidet als im anderen Fall.

Solltet ihr mit einer Entscheidung eures Prüfungsausschusses nicht zufrieden sein, solltet ihr beim Studierendenbüro schriftlich unter Angabe einer Begründung Widerspruch gegen die Entscheidung einlegen. Dazu habt ihr gemäß § 25 der (Muster)Prüfungsordnung einen Monat ab Bekanntgabe der Entscheidung Zeit.

 

Unsere Hochschule macht also keine konkreten Vorgaben zur Vergabe von Nachteilsausgleichen. Dennoch besteht ein Rechtsrahmen, der sich primär durch Rechtsprechung in vergangenen Gerichtsverfahren gebildet hat. Dieser Rechtsrahmen, auf den ihr euch im Zweifelsfall berufen solltet, wird im Folgenden erläutert.

 

Anspruchsgrundlagen

Der Anspruch auf einen Nachteilsausgleich besteht nur, wenn tatsächlich eine langfristige Beeinträchtigung bzw. Behinderung vorliegt. Dabei stellt der Grad der Behinderung keine Aussage über Leistungsvermögen oder Nachteile im Studium dar. Weiterhin ist eine amtliche Feststellung einer Behinderung nicht zwingend erforderlich.

Die Anspruchsgrundlagen lassen sich aus vielen Gesetzen herleiten, zum Beispiel:

  • 5 Abs. 2 / Art. 24 Abs. 1 und 5 UN-Behindertenrechtskonvention
    Diskriminierungsverbot und Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung
  • 3 Abs. 1 und 3 S. 2 / Art. 20 GG
    Chancengleichheit, Sozialstaatsprinzip
  • 2 Abs. 4 und § 16 S. 4 HRG
    keine Benachteiligung aufgrund von Behinderungen, Chancengleichheit
  • 5 Abs. 2 Nr. 14 und § 35 Abs. 4 SächsHSG
    Berücksichtigung besonderer Bedürfnisse -> Inklusionsmaßnahmen, keine Benachteiligung

 

Anspruchsvoraussetzungen

Juristisch besteht Anspruch auf einen Nachteilsausgleich, wenn alle drei Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind:

  1. Es muss eine Behinderung bzw. langfristige gesundheitliche Beeinträchtigung im Sinne des § 2 SächsInklusG vorliegen. Dabei sollte möglichst eine Diagnose nach ICD-10 GM Version 2023 vorhanden sein.
  2. Es muss ein Nachteil bzw. eine Einschränkung für die zu prüfende Person bestehen, die aufgrund der Beeinträchtigung (siehe 1.) besteht und zum Tragen kommt, wenn die Prüfung unter den für alle vorgesehenen Bedingungen absolviert werden müsste. Das heißt, dass die Diagnose einer Behinderung/Beeinträchtigung allein NICHT ausreichend ist. Relevant sind die dadurch verursachten funktionalen Einschränkungen.
  3. Die Beeinträchtigung (siehe 1.) betrifft NICHT die durch die Prüfung nachzuweisenden Fähigkeiten. Dieser Punkt kann im Einzelfall sehr schwierig sein, da nicht immer genau klar ist, welche Bandbreite an Fähigkeiten eine Prüfung genau abdecken soll. Nach etablierter Rechtsprechung wäre es beispielsweise nicht angebracht, Krankheiten, die sich auf das Konzentrationsvermögen auswirken, auszugleichen. Resistenz gegen Störungen, die richtige Priorisierung von Aufgaben und eine hohe Konzentrationsfähigkeit unter Stress können neben fachlichen Aspekten ebenfalls Gegenstand von Prüfungen sein.
    Neuere Rechtsgutachten und die Praxis an vielen Hochschulen sind weniger strikt. Relevant sei demnach lediglich, dass ein Nachteilsausgleich dem Prüfungszweck nicht zwingend entgegensteht.

Sind alle drei Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, muss ein Nachteilsausgleich gewährt werden. Art und Umfang dessen liegt im Ermessen des Prüfungsausschusses, der auch von den vorgeschlagenen Maßnahmen abweichen kann.

 

Art des Nachteilsausgleichs

Wie konkret der Nachteilsausgleich aussieht, liegt zwar im Ermessen des Prüfungsausschusses, jedoch gelten dabei ebenfalls Rahmenbedingungen:

  • Einschränkungen dürfen nicht überkompensiert werden
  • Die Prüfungsanforderungen dürfen nicht gesenkt werden, insbesondere darf der Bewertungsmaßstab nicht für einzelne Prüflinge anders definiert werden; Leistungen dürfen nicht erlassen werden (Ersatz ist aber möglich)
  • Der Prüfungsgegenstand darf nicht geändert werden, das Prüfungsformat jedoch schon; Aufgaben dürfen nicht inhaltlich oder strukturell verändert werden
  • Zusätzliche Prüfungsversuche sind als Nachteilsausgleich unzulässig (können aber in individuellen Härtefällen in jeglichen Lebenslagen gewährt werden)

 

Beispiele für mögliche Nachteilsausgleiche

Prüfungsbedingungen

Mögliche Maßnahmen

Prüfungs- und Aufgabenformate

Ersatz eines Präsenzvortrags durch einen Screencast

Technische Bedingungen

Barrierefreie Gestaltung der Prüfungsaufgaben

Örtlich-räumliche Bedingungen

Eigener Bearbeitungsraum

Zeitliche Bedingungen

Verlängerung der Bearbeitungszeit, Pausenregelung, Einlesezeit

Sozialformen

Einzel- statt Gruppenprüfung

Dienstleistungen

Bereitstellung von Assistenzpersonen oder Dolmetscher:innen

 

Zusätzliche Bearbeitungszeit?

bei Beeinträchtigungen von Aktivitäten, die während der Dauer der Prüfung ständig oder regelmäßig bzw. häufig bestehen, z. B. Beeinträchtigungen des Lesens oder Beeinträchtigungen des Schreibens mit der Hand oder des Tippens

 

Pausen?

bei unregelmäßig bzw. möglicherweise auftretenden Auswirkungen von Beeinträchtigungen und bei Auswirkungen von Beeinträchtigungen auf Aktivitäten, die bei Arbeiten ohne Unterbrechung oder längerer Dauer zu zusätzlichen Schwierigkeiten führen, z.B. Schmerzen

 

Ersatzleistungen?

Der Ersatz eines Prüfungsformats ist nur dann geboten, wenn eine Anpassung des vorgesehenen Formats nicht zu einem Ausgleich des Nachteils führt. Prüfungsformate können nur durch gleichwertige andere Formate ersetzt werden.

Vorgesehenes Format

Anpassungsmöglichkeiten

Ersatzmöglichkeiten

Klausur

Verlängerte Bearbeitungszeit, Pausen, eigener Raum, Assistenz, Hilfsmitteln, Skills

Evtl. mündliche Prüfung

Mündliche Prüfung

Mehr Zeit, Pausen, schriftliche Unterstützung, Dolmetscher:innen, Begleitperson, Hilfsmittel, Assistenz

Evtl. Klausur oder klausurähnliches Take Home Exam

Referat/Präsentation

Ausschluss des Plenums, Kommunikationsassistenz, andere Assistenz, Dolmetscher:innen

Screencast, Redemanuskript, kommentierte Präsentation

Haus-/Abschlussarbeit

Verlängerung der Bearbeitungszeit

Bei Hausarbeiten schwierig, bei Abschlussarbeiten nicht möglich

Berufspraktikum

Teilzeit statt Vollzeit, Wahl der Schule, Teilung des Praktikums in mehrere Abschnitte, HomeOffice

Ersatz schwierig, insb. In Studiengängen mit eindeutigem Berufsbild

Exkursion

Andere Unterkunft, andere Anreise, Assistenz, Hilfsmittel

Andere Exkursion, mehrere kürzere Exkursionen, evtl. andere Leistungen, z. B. Praktikum, Hospitation


Für weitere Informationen zu diesem Thema können wir folgende Website empfehlen: https://www.kc-sachsen.de/informieren/inklusion/nachteilsausgleiche